“Alles ist politisch”…?

Über links und rechts in der Tierrechtsszene und den Wunsch nach differenzierter Betrachtung 


1. Politisches in der Tierrechtsbewegung

2. Politische Verortung

3. Themengemenge. Was ist die Agenda?

a. Vergleich vs. Gleichstellung

b. Agenda vs. Instrumentalisierung

Beispiele

i. Holocaustvergleich

ii. Intersektionaler Aktivismus

iii. One struggle, one fight

4. Konsistenz: Wo gilt die ‘Kontaktschuld’ und was wird toleriert?

5. Für einen differenzierten Dialog


1. Intro: Politisches in der Tierrechtsbewegung

“Alles ist politisch” – ein Satz, den ich oft in meinem Umfeld gehört und früher selber häufig gesagt habe. Auch in der Tierrechtsszene spielt die politische Haltung oft eine große Rolle. Viele Gruppen legen Wert auf eine linke Einstellung und die Abgrenzung nach rechts, manche wollen die politische Haltung lieber nicht thematisieren und andere akzeptieren innerhalb gewisser Grenzen verschiedene Positionen, ohne die politische Haltung pauschal zum Kriterium zu machen. Die Offenheit für konstruktive, differenzierte Diskussionen schwankt dabei erheblich zwischen den verschiedenen Gruppen und Personen, ebenso das Maß an gegenseitiger Toleranz. Personen und Organisationen pauschal abzuwerten und mit einer gewissen Leidenschaft immer wieder einseitig zu kritisieren mag generell menschlich sein und unabhängig von der politischen Einstellung vorkommen, aber da mein Umfeld und ich überwiegend links geprägt sind und viele Gruppen in der Tierrechtsbewegung, die ihre politische Haltung offen teilen, ebenfalls meistens linke Gruppen sind, erscheint es mir dort besonders auffällig. Gerade die Meidung und die Aufforderung, sich zu distanzieren, beobachtet man häufig in der progressiven Linken, nicht nur in der Tierrechtsbewegung. Daher behandelt dieser Text vorrangig linke Positionen und Diskussionen, was keinesfalls den Eindruck erwecken soll, dass rechte, vor allem rechtsextreme Positionen unproblematisch oder nicht diskussionswürdig wären. Aber es liegt mir viel daran, dass auch wir unsere Ansätze kritisch hinterfragen und dazulernen, um unsere Standpunkte gut vertreten zu können.


2. Politische Verortung

Wenn es darum geht, andere politisch einzuordnen, beobachtet man selten die Bemühung, sich mit der tatsächlichen Position und ihren Facetten zu beschäftigen; Eine differenzierte Einordnung, die über “links = richtig” und “rechts = falsch” und umgekehrt hinausgeht, bleibt damit häufig aus. Dabei kann ‘rechts’ vieles bedeuten: von der Rückbesinnung auf Traditionen über eine konservative Haltung zur Einwanderung bis hin zu Fremdenhass und Faschismus. Ähnlich vielfältig sind linke Positionen; einige linke Menschen setzen sich für Lohngerechtigkeit ein, andere für eine weitreichendere Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und wiederum andere wollen “das System stürzen” oder Anarchie. Auch wenn die Grenzen teilweise fließend sind, ist es keinesfalls trivial, welche (linke oder rechte) Haltung jemand genau vertritt. Wird der Position zu ‘politisch korrekter’ Sprache ein ähnliches Gewicht gegeben wie der Einstellung zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit oder dem Ausüben von Gewalt, fehlt es an der Verhältnismäßigkeit, die es bräuchte, um einen konstruktiven Dialog führen zu können. Denn dann stehen sich schnell vermeintlich zwei stereotype Lager gegenüber und arbeiten sich mehr an ihren Feindbildern ab, als an den vielseitigen Positionen mit ihren Nuancen. Gleichzeitig steigt das Risiko, Probleme in der “eigenen Gruppe” nicht zu sehen bzw. nicht richtig adressieren zu können. Generell sollte Positionen, unabhängig davon, wo sie verortet werden, inhaltlich und mit Argumenten begegnet werden. Das bloße Labeln sagt für gewöhnlich wenig über die Gültigkeit der zugrundeliegenden Standpunkte aus.


3. Themengemenge. Was ist die Agenda?

a. Vergleich vs. Gleichstellung

In der Verdeutlichung unserer Positionen und Argumente kommen wir selten um Vergleiche herum. Dabei herrscht keinesfalls Einigkeit darüber, was ein Vergleich ist oder tatsächlich leisten soll. Obwohl ein Vergleich lediglich darauf abzielt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, verstehen viele unter einem Vergleich eine Gleichstellung bzw. unterstellen Leuten, die einen Vergleich anstellen, dass sie zwei Sachverhalte als gleichbedeutend, gleichwertig oder identisch in ihrer Aussagekraft bezeichnen. So entstehen schnell Unterstellungen und Missverständnisse, und das Potential, in der Diskussion etwas zu lernen und noch ungesehene Punkte zu erkennen, bleibt ungenutzt. 

b. Agenda vs. Instrumentalisierung

Dass bestimmte Vergleiche in erster Linie als Provokation oder für die Aufmerksamkeit genutzt werden, ist offensichtlich. Dennoch werden sie häufig als Verharmlosung anderer Probleme verstanden – meistens ohne schlüssig zu begründen, inwiefern etwas verharmlost wird bzw. warum ein Vergleich tatsächlich unstatthaft wäre. Meistens erhoffen sich sowohl diejenigen, die etwas vergleichen, als auch diejenigen, die einen Vergleich ablehnen, ein bestimmtes Resultat davon. Es besteht die Erwartung, damit mehr Personen eine bestimmte Sichtweise näherzubringen oder durch das Unterlassen Schaden an anderen oder dem eigenen Anliegen zu vermeiden. Es gibt also ein oft unausgesprochenes Kalkül, eine empirische Annahme, dass die Rhetorik mit einer relevanten Menge an Nutzen oder Schaden einhergeht, i.d.R. ohne aufzeigen zu können, dass entweder der Nutzen überwiegt oder das Prinzip der Schadensvermeidung vor dem Hintergrund der potentiell vermiedenen Ungerechtigkeiten verhältnismäßig wäre. Schon deshalb sollten wir uns mit einem harten Urteil über die Nutzung oder die Ablehnung eines Vergleichs an dieser Stelle zurückhalten, da wir für gewöhnlich schlicht nicht wissen, was genau zu welchem Ergebnis führt. Auch wer sich auf ein bloßes Prinzip, auf eine Regel ("So etwas macht man nicht!") berufen möchte, sollte dieses Prinzip bei Bedarf begründen können, was letztlich auf die erwähnte Schaden-Nutzen-Frage hinausläuft. 

Und obwohl viele Tierrechtsaktivisten Vergleiche ausschließlich mit der Absicht nutzen, einen Punkt im tierethischen Bereich zu machen, wird ihnen darüber hinaus teilweise eine bestimmte politische Agenda unterstellt, die so nicht besteht. Gleichzeitig sind einige linke Aktivisten der Meinung, die politischen Ziele aus dem Humanbereich müssten im Sinne der Intersektionalität und Herrschaftskritik auch mit dem Tierrechtsaktivismus verknüpft werden. Nicht selten werfen diejenigen, die im Tierrechtskontext linke Humananliegen positionieren (siehe Bsp. 2 und 3), denjenigen, die in ihrem Tierrechtsaktivismus Vergleiche zu Ungerechtigkeiten im Humankontext nutzen (siehe Bsp. 1), Instrumentalisierung und eine rechte politische Haltung vor, obwohl gar keine politische Agenda abseits der Tierrechte verfolgt wird. Dabei würde der Diskurs von einer differenzierten Einordnung der erkennbaren Absichten und Standpunkte enorm profitieren. Ein paar Beispiele:

i. Bsp. 1: Holocaustvergleich

Wenn Aktivisten die massenhafte Tötung von Tieren als Holocaust bezeichnen oder damit vergleichen, stellt sich berechtigterweise die Frage, auf welche Parallelen sie sich genau beziehen. Absicht und Lesart liegen bei diesem Vergleich nicht selten weit auseinander. Auch wenn es nüchtern betrachtet Gemeinsamkeiten mit der Shoah gibt, wie beispielsweise bezüglich Transporten oder der Verwendung von Gaskammern, gibt es selbstverständlich auch viele Unterschiede, insbesondere hinsichtlich der Ziele, Ideologien, individuellen Schicksale etc. Ob in Summe das eine oder andere schlimmer ist  oder ob wir Tieren und Menschen einen ähnlichen Wert beimessen sollten, wird dabei selten offen diskutiert, obwohl es einen essentiellen Teil des Unbehagens über den Vergleich ausmacht. Aus unterschiedlichen Gesichtspunkten (psychische Leiden, Zahl der Betroffenen, Selbstbewusstsein, …) lassen sich hier unterschiedliche Punkte machen. Meistens geht es beiden Seiten, den Vertretern und den Kritikern des Vergleichs oder Begriffs, aber nicht darum, einen konstruktiven Dialog darüber zu führen. Die einen wollen das Ausmaß der Ungerechtigkeit verdeutlichen, die anderen interpretieren es als Verharmlosung und Instrumentalisierung der Ungerechtigkeiten an den Opfern des NS. Dass tatsächlich eine Verharmlosung durch diesen Vergleich entsteht, folgt nicht zwangsläufig und müsste daher schlüssig aufgezeigt werden. Der Person, die den Vergleich nutzt, um auf die Ungerechtigkeit an Tieren hinzuweisen, liegt nichts an einer Verharmlosung; im Gegenteil, das Ausmaß an Grauen soll ja gerade verdeutlicht werden. Nur aus einer Sicht, die Tieren wenig bis keinen Wert zuspricht, ergibt es Sinn, pauschal von Verharmlosung zu sprechen. Eine Instrumentalisierung liegt selbstverständlich vor, wobei zu zeigen wäre, warum Instrumentalisierung per se abzulehnen sei – auch in Anbetracht dessen, dass ggf. Personen verletzt werden. Wie wäre der Anspruch auf Nichtverletzung zu rechtfertigen, wenn damit potentiell weitaus schwerwiegendere Ungerechtigkeiten (verglichen mit der Wirkung, die der Vergleich auf manche haben könnte) verhindert würden? Solange nicht klar ist, ob ein Vergleich mehr Nutzen oder Schaden bringt, habe ich weder einen gewichtigen Grund, um darauf zu bestehen, noch um ihn aus einem Prinzip heraus abzulehnen. Somit sollte hier eine gewisse Toleranz für beide Seiten gelten. Auch Prinzipien und ihre Gültigkeit müssen entsprechend begründet werden, gerade dann, wenn ein berechtigter Einwand besteht, von einem Prinzip abzuweichen, um eben schwerwiegende(re) Ungerechtigkeiten zu verhindern. Angesichts der Tatsache, dass die Biografien vieler Menschen in einem tragischen Zusammenhang mit der Shoah, Rassismus oder geschlechtsbezogener Gewalt etc. stehen und eben viele Menschen (insbesondere Nutz-)Tieren quasi keinen Schutzwert zusprechen, könnte man durchaus fragen, inwiefern diese Rhetorik, also generell Vergleiche mit Ungerechtigkeiten im Humanbereich, rücksichtslos oder strategisch sinnvoll ist. Somit gibt es valide Punkte und Bedenken auf beiden Seiten, die ihre Berechtigung im Diskurs haben.

ii. Bsp. 2: ‘Queere Tiere’ und intersektionaler Aktivismus

Interessanterweise finden sich gerade bei denen, die anderen Instrumentalisierung vorwerfen, häufig Anliegen aus dem Humanbereich im Rahmen ihrer Tierrechtsaktivitäten. So wird z.B. von “queeren Tieren” gesprochen bzw. von Fällen nicht-eindeutiger Geschlechtsmerkmale oder nicht-heterosexuellen Verhaltens bei Tieren, um einen Punkt für die Legitimität geschlechtlicher und sexueller Vielfalt im Humankontext zu machen (teilweise unwissend oder ignorierend, dass die gemachten Beispiele in der Tierwelt, wie kürzlich der Kappennaschvogel aus Kolumbien, mit Ausgrenzung und erheblichem Leid einhergehen können, und eben kein gutes Beispiel für eine bunte, schöne Welt darstellen). Die Frage nach der Verharmlosung oder Instrumentalisierung bleibt hier i.d.R. aus. Auch wird häufig von einem "intersektionalen Tierrechtsaktivismus” gesprochen, der “andere Diskriminierungsformen mitdenkt” bzw. sich “gegen jede Form der Unterdrückung” richtet. Abgesehen davon, dass Intersektionalität gerade in der Praxis nicht einfach bedeutet, gegen jede Form von Ungerechtigkeit oder Unterdrückung zu sein (schließlich sehen viele intersektionale Linke kein Problem darin, Tierausbeutung zu unterstützen), ist es ein Konzept aus dem Humanbereich und möchte auch im Tierrechtskontext erfahrungsgemäß genau das: menschliche Belange und Missstände adressieren. Somit kann auch hier die Forderung nach einem intersektionalen Aktivismus durchaus als Instrumentalisierung der Tierrechtsdebatte für Humanthemen betrachtet werden, sodass es nicht um eine pauschale Ablehnung von Instrumentalisierung zu gehen scheint; daher wäre zu klären, ob diese Haltung, dieser Doppelstandard sinnvoll ist bzw. bis zu welchem Grad unterschiedliche Ansätze des Aktivismus geduldet werden sollten. Einige gehen kompromisslos davon aus, dass der Tierrechtsaktivismus nicht für sich alleine stehen dürfe und linke Belange aus dem Humankontext ebenso berücksichtigen bzw. adressieren müsse. Das sollte mit Hinblick auf eine Klärung dieses Doppelstandards in der Diskussion über Instrumentalisierung und Strategien berücksichtigt werden.

iii. Bsp. 3: One struggle, one fight: Kapitalismus- und Systemkritik

Auch finden sich in der Tierrechtsbewegung immer wieder antikapitalistische Forderungen, “Systemkritik” und bisweilen anti-demokratische Revolutionsgedanken – also Anliegen, die ursprünglich aus einem politischen Diskurs kommen, der sich auch heute noch vorrangig an den Wünschen und Vorstellungen von Menschen orientiert. Wenn dann auf Demos gegen Tierversuche (oder auch gegen andere Formen der Nutztierhaltung) Slogans wie “One struggle, one fight! Human freedom, animal rights!” gerufen werden, kann man durchaus in Frage stellen, inwiefern das zutrifft. Welche Menschen werden heutzutage von uns massenhaft zur Ausbeutung gezüchtet, eingepfercht (und ggf. unter grauenvollen Umständen für Experimente genutzt) und dann bei Bedarf getötet? Es dürfte schwer sein, überzeugend darzulegen, dass die heutigen Ungerechtigkeiten im Humanbereich (vor allem jene, die wir direkt mitverantworten) nur annähernd das Ausmaß annehmen, wie wir es bei der Tierausbeutung vorfinden. Was soll hier also genau dieser “one struggle” sein? Um die 97% unserer Mitmenschen entscheiden sich in ihrem Alltag immer wieder dafür, für Belangloses die Tötung von Milliarden von empfindungsfähigen, wehrlosen Tieren zu unterstützen – “one fight”? Parallelen vom Human- zum Tierbereich zu ziehen (wie beim Vergleich mit dem Holocaust oder der Sklaverei) sei nicht zulässig aber andersherum ist quasi jedes Kapern des Tierrechtsanliegens für menschliche Belange recht und es besteht kein Problem dabei, es als einen Kampf darzustellen? Dabei haben Gerechtigkeitsbewegungen im Humanbereich auch unabhängig von tierethischen Bestrebungen Erfolge erzielt und Rückschläge erlitten. Gerade in den vergangenen 100 Jahren hat sich hinsichtlich Diskriminierung und Unterdrückung von Menschen sehr viel verbessert (auch wenn es noch immer Missstände gibt), während gleichzeitig die Ausbeutung der Tiere rasant anstieg und (nicht im Sinne der Tiere) optimiert wurde. Die Behauptung, die Ungerechtigkeiten ggü. Tieren und Menschen ließen sich nur gemeinsam bekämpfen, ist mehr als fraglich. So wurde beispielsweise während des Dritten Reichs ein für damalige Verhältnisse fortschrittliches Tierschutzgesetz verabschiedet, während im Humanbereich katastrophale Ungerechtigkeiten verübt wurden. (Unabhängig von Propagandazwecken und ideologischen Widersprüchen, war die Restriktion von Tierversuchen und die Einführung von gewissen Mindeststandards durchaus eine Verbesserung für viele Tiere). Zu erwarten, das Ende der Tierausbeutung würde sich aus der Gerechtigkeit im Humanbereich, dem Ende des Kapitalismus oder mit der Enteignung oder Vergesellschaftung der entsprechenden Konzerne ergeben, ist eine bloße Annahme, für die sowohl die Beweise fehlen als auch valide Einwände vorliegen. Schließlich wurden Tiere bisher in quasi jeder Gesellschaftsordnung als Ressourcen für Nahrung, Kleidung etc. genutzt und auch unter den entsprechenden Gruppen, die eine starke antikapitalistische Haltung pflegen, ist es keinesfalls Konsens, dass Tiere entsprechenden Schutzwert genießen, und eben nicht einfach zur ungerechten Nutzung zur Verfügung stehen. Stellenweise ist sogar das Gegenteil der Fall, sodass einzelne Linke meinen, Veganismus sei sinnlos im Kapitalismus oder als Wohlstandsfrage hintenan zu stellen. Auch hier (bei Sprüchen wie ‘One struggle, one fight! Human freedom, animal rights!’, ‘Eat fascists, not animals!’ oder ‘Neokolonialismus stoppen’ auf einem Banner im Hauptsitz von Tönnies) ist eine Instrumentalisierung des tierethischen Anliegens oder einer entsprechenden Aktion für eine andere politische Agenda offensichtlich – was nicht bedeutet, dass die Kritik oder Forderungen nicht auch valide und sinnvolle Punkte ansprechen oder sich Menschen nicht in beiden Bereichen einsetzen können. Aber die Statthaftigkeit der Instrumentalisierung kann auch hier durchaus in Frage gestellt werden. Generell sollte die Bekämpfung der Tierausbeutung nicht davon abhängen, ob wir Menschen uns auf eine gemeinsame Gesellschaftsordnung oder politische Ansicht einigen. Tiere können schließlich nichts für unsere Probleme und unser politisches Gerangel. Was nicht bedeutet, dass man jedes Verhalten oder jede Position dulden sollte – aber ein wohlwollendes, differenziertes Einordnen von Positionen und Absichten, und ein sinnvolles Abwägen hinsichtlich unserer Forderungen und Grenzziehungen wäre mehr als wünschenswert. Und solange es berechtigte Zweifel daran gibt, dass der Ansatz, human- und tierethische Missstände gemeinsam zu adressieren, tatsächlich erfolgreich(er) ist, sollte auch Toleranz gegenüber anderen Ansätzen gelten.

4. Konsistenz: Wo gilt die ‘Kontaktschuld’ und was wird toleriert?

Viele Aktivisten oder Organisationen werden aufgrund einer Kontaktschuld kritisiert und gemieden. Spricht man mit Person X oder teilt einzelne ihrer Beiträge, wird schnell geurteilt und angenommen, dass man diese Person und ihre Ansichten grundlegend unterstützt. Ich verstehe den Gedanken dahinter, und je nach Kontext, kann man sicher erwarten, dass bestimmte Probleme, die im Zusammenhang mit einer Person stehen, angesprochen werden. Gleichzeitig sollten wir uns fragen, wie wir selbst behandelt werden wollen und ob wir nicht gut daran täten, andere anhand ihrer eigenen Äußerungen und Handlungen politisch einzuordnen. Zentral sollte sein, welche konkreten Überzeugungen und Argumente hinter einer Position stehen – auch wenn sie nicht den eigenen entsprechen. Hier stellt sich auch eine große Konsistenzfrage. So beteiligen sich viele von uns an anderen (linken) Initiativen und Veranstaltungen (z.B. für die Demokratie oder bei FFF) wissentlich, dass dort viele nicht-vegane Menschen teilnehmen. Wieso lehnen wir es einerseits ab, bei einer Veranstaltung oder Organisation für Tierrechte mitzumachen, bei der (neben vielen anderen Linken) auch Leute auftreten, die sich außerhalb diskriminierend geäußert haben, aber nehmen dann an Veranstaltungen teil und unterstützen Personen, die regelmäßig Geld dafür ausgeben, dass Tiere in furchtbaren Bedingungen gehalten und getötet werden? Ist die Ungerechtigkeit an Tieren zweitrangig? Wenn ja, auf welcher Grundlage? Wir gehen z.T. mit nicht-veganen Menschen Beziehungen ein, akzeptieren sie als Familienmitglieder, versuchen, ihnen und anderen auf Augenhöhe zu begegnen, um sie davon zu überzeugen, sich nicht mehr an der Tierausbeutung zu beteiligen, aber bei bloßen Äußerungen (ohne jedwede entsprechende Agenda) im Humankontext ist der Bogen überspannt? Warum? Weil es dabei um Menschen, um uns oder ggf. unsere Freunde geht und eben nicht “nur um Tiere”? Es fällt schwer, darin keinen Doppelstandard und ein schlecht begründetes Gruppenverhalten zu sehen. Auch wenn gerade strategische Überlegungen durchaus dafür sprechen können, Probleme im Humanbereich eher zu adressieren als die Ausbeutung von Tieren, so entfällt doch die Grundlage, es ethisch bzw. inhaltlich dermaßen unterschiedlich zu bewerten. Ja, ein rechtsextremes oder autoritäres Regime könnte jede Gerechtigkeitsbewegung unterbinden, sodass hier ein potentieller Punkt für eine Priorisierung der Humanethik gemacht werden kann. Dann wäre aufzuzeigen, dass eine Toleranz der kritisierten Personen oder Positionen zu einem ebensolchen Regime führen würde bzw. dass die Person nicht mehr durch einen sinnvollen Diskurs zu erreichen oder von einer vernünftigen Position zu überzeugen ist. Das dürfte im Regelfall angesichts einer fehlenden politischen Agenda, einer deutlich differenzierteren oder sogar ablehnenden Haltung ggü. diskriminierenden und antidemokratischen Positionen ergebnislos bleiben. Und solange das nicht gegeben ist, sollte Toleranz ggü. Haltungen innerhalb eines gewissen, akzeptablen Spektrums gelten – auch im Sinne einer konstruktiven, demokratischen Gesellschaft, die von verschiedenen Positionen und Diskussionen lebt. Gerade der Ausschluss von Andersdenkenden könnte durch fehlenden Austausch ein weiteres Abdriften begünstigen.

5. Für einen differenzierten Dialog

Es ist beeindruckend, wie oft ein bloßes “Person hat X gesagt” ausreicht, um bei Menschen ein starkes Bild einer politischen Position zu erzeugen. Mir geht es da nicht anders und ich urteile auch manchmal voreilig. Gerade wenn es um Themen geht, die uns wichtig sind, für die wir uns leidenschaftlich einsetzen kann es schwer sein, sich nicht einfach den Narrativen unserer Mitstreitenden, auf die wir angewiesen sind, anzuschließen und ggf. mit den Personen zu sprechen, die abgelehnt werden. Nicht selten wird man im direkten, offenen Austausch von einer erheblich anderen Sachlage überrascht, unabhängig davon, ob man sich am Ende einig ist oder nicht. Wir tendieren leider schnell dazu, nur die negativen Auslegungen der Behauptungen der kritisierten Menschen zu sehen bzw. Behauptungen und Meinungen zu unterstellen, die bei genauerem Hinschauen (z.B. durch ein direktes Gespräch mit der Person) so nicht zutreffen. Wir alle kennen wahrscheinlich solche Situationen, in denen uns das Gegenüber Behauptungen unterstellt, denen wir nicht zustimmen würden und andere, in denen jemand offen nachfragt, um sicherzugehen, uns richtig verstanden zu haben. Wenn wir uns letzteres für uns selber wünschen, sollten wir uns auch darum bemühen, anderen die Chance zu geben, ihre Haltung zu erläutern, bevor wir von außen aufgrund einzelner Aussagen auf eine umfassende politische Einstellung bzw. spezifische Gesinnung schließen. Dabei ist es auch entscheidend, zu erkennen, mit welcher Absicht jemand kritische Rückfragen stellt. Nicht selten werden gerade diese Personen voreilig verurteilt, da viele Leute davon ausgehen, dass Skepsis bereits Ablehnung bedeutet. Doch jene, die sich mit einem Urteil erstmal zurückhalten, um einen anderen Standpunkt zu verstehen und tendenziell ergebnisoffen nach guten Argumenten zu schauen, stellen kritische Fragen und wirken auf andere teilweise, als würden sie den Standpunkt ablehnen bzw. eine vermeintliche Gegenposition einnehmen. Daher kann es entscheidend sein, genau hinzuschauen und ggf. um Einordnung zu bitten, um unfaires und nicht zielführendes Schubladendenken zu vermeiden. Darüber hinaus sollten wir Kritik grundlegend erstmal wertschätzen, egal ob sie von Leuten kommt, die ähnliche Ziele verfolgen oder nicht – wir übersehen ständig Dinge und müssen damit rechnen, dass wir hinsichtlich eines Sachverhalts falsch liegen; unsere Informations- und Wahrnehmungslücken sind häufig groß. Und lasst uns bitte aufhören, Leute und Gruppen überzogen und pauschal als ‘gut’ oder ‘böse’ darzustellen; Würde ich mich nur dort beteiligen, wo ich nichts problematisch finde, wäre ich inzwischen weitestgehend aus dem Aktivismus ausgestiegen. Auch wenn am Ende einer Diskussion kein Konsens besteht, der eigene Ansatz immer noch vielversprechender erscheint, lasst uns eingestehen, falls wir etwas nicht mit Sicherheit wissen können. Es geht keinesfalls darum, unbedingt an einem Strang zu ziehen oder keine Kritik mehr aneinander zu üben; im Gegenteil: Ich bin der Überzeugung, wir brauchen noch mehr kritischen Austausch, um unsere Anliegen solide zu vertreten. Nur sollten wir so oft es geht genau hinschauen und uns um eine wohlwollende, differenzierte Betrachtung der Standpunkte und Sachlage bemühen, anerkennen, was wir gut finden und kritisieren, was wir anders sehen. Es gibt für alle genug zu lernen.

Autoren
Linus Leuft, (Green Quantum, Tierethik & Veganismus)

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Tierwohl vs. Tierschutz vs. Tierrecht