Tiere leiden und sterben – egal ob vegan oder nicht

Wenn Veganismus in Frage gestellt wird, kommen häufig die Einwände „aber durch die Ernte von Pflanzen sterben doch auch Tiere“ oder “man kann doch gar nicht völlig vermeiden, dass Tiere für uns leiden“. Diese Aussagen sollen oft darauf hinauslaufen, dass es keinen ausreichenden Grund für eine Notwendigkeit gäbe, sein Verhalten zu ändern und vegan zu leben. Schließlich könne der Veganismus keine perfekten Zustände bzw. sein vermeintliches Ziel gar nicht erreichen, da er keine zufriedenstellende Lösung für die von der Person angenommenen Probleme liefere. Aber diese Denkweise beruht auf einem Missverständnis – darüber, was Veganismus ist. Der Veganismus ist weder eine “tierfreie” Ernährungsweise, noch zielt sein Kern darauf ab, einfach nur Tierleid zu vermeiden.

Veganismus bedeutet, Tierausbeutung abzulehnen

Veganismus fordert nicht von uns, jegliches Verursachen von Leid und anderen Schäden gänzlich zu vermeiden. Veganismus bedeutet, dass man es ablehnt, Tiere grausam zu behandeln oder auszubeuten, und sie somit weder gejagt, getötet oder vergast werden sollen, wenn es Alternativen gibt.

Natürlich sterben bei der Ernte von Getreide oder Gemüse auch Kleintiere wie Mäuse oder Insekten – teilweise werden sie sogar gezielt getötet, um die Ernte zu schützen. Natürlich gibt es auch Straßen, die durch Lebensräume anderer Tiere führen und sie gefährden. Und ja, kein Mensch kann auf dieser Welt leben, ohne dass irgendein anderes Tier dadurch zu Schaden käme. Aber das ist nicht der Punkt, um den es beim Veganismus geht. Die entscheidende Frage ist: Können Notwehr und andere unvermeidbare Schäden es rechtfertigen, unschuldige Dritte gezielt zu züchten, zu jagen, zu fangen oder zu töten?

Das Ernteopfer-Argument – ein schiefer Vergleich

Oft wird Veganern entgegengesetzt, dass auch für eine vegane Lebensweise Tiere sterben müssen, z.B. für den Anbau von Nahrungspflanzen oder den Transport. Daraus wird dann der Schluss gezogen, dass zumindest auch Veganer für Tote verantwortlich sind. Hier liegt eine versteckte Voraussetzung zugrunde. Nämlich, dass es keinen Grund gibt, vegan zu leben, wenn es doch gleich schlimm sei: „Wenn der Veganismus keine bessere Alternative zum Status quo darstellt, aufgrund seiner ebenfalls schädlichen Weise auf Tiere, so gibt es keinen Grund, danach zu leben.“ Aber das ist ein unpassender Vergleich. Denn es gibt einen riesigen Unterschied zwischen

  1. Tieren, die für unsere Lebensgrundlage negativ von landwirtschaftlichen Prozessen betroffen sind, und

  2. Tieren, die absichtlich für unser Begehren (aufgrund verfügbarer Alternativen ohne Notwendigkeit) getötet werden, weil Menschen sie essen, jagen oder anderweitig ausbeuten.

Wir unterscheiden auch im Humanbereich zwischen verschiedenen Schädigungskontexten und bewerten sie unterschiedlich. Es würde wohl niemand behaupten, dass ethisch betrachtet, das Umkommen von Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr mit dem gezielten Fahren in eine Menschenmenge gleichzusetzen wäre. Unvermeidbare Nebenfolgen sind nicht dasselbe wie Gewalt oder eine gezielte Schlechterbehandlung. Auch reicht uns für gewöhnlich eine bloße Opferzählerei nicht aus, um solche Kontexte zu vergleichen und die Handlungen dahinter zu bewerten. Wir würden es im Humanbereich wohl kaum akzeptieren, Morde, Selbstverteidigung mit Todesfolge und Unfälle gleich zu bewerten, nur weil es zu einem ähnlichen Resultat führt.

Jagd, Fischerei und Wildtierausbeutung – systematische Gewalt an Tieren

Neben der massenhaften Zucht und Tötung von sogenannten „Nutztieren“ gibt es auch Millionen von Tieren, die in freier Wildbahn gefangen oder gejagt werden, um sie zu töten bzw. auszubeuten.

  • Jagd wird oft als „natürlich“ oder „notwendig“ dargestellt, ist aber in den meisten Fällen nichts anderes, als ein Freizeitvergnügen, bei dem Tiere aus ihren sozialen Strukturen gerissen und brutal getötet werden – oft nur für Trophäen oder angebliche „Bestandsregulierung“.

  • Fischerei ist ein Massaker, bei dem Fische ersticken, verstümmelt oder bei lebendigem Leib aufgeschlitzt werden. Neben ihnen sterben unzählige andere Tiere als „Beifang“, darunter Delfine, Haie und Meeresschildkröten.

  • Pelz-, Leder- und Exotenhandel führen zum Einfangen von Wildtieren, um sie für Mode oder Dekoration zu töten. Viele erleiden tagelange Qualen in Fallen oder engen Transportkisten, bevor sie brutal getötet werden.

  • Zoos und Aquarien sperren Tiere unter Bedingungen ein, die oft psychische und physische Schäden verursachen.

  • Tierversuche nutzen Wildtiere und domestizierte Tiere, häufig für leidvolle Experimente.

Bei all diesen Praktiken sind massivste Interessenverletzungen bei Tieren ein fester Bestandteil. Sie sind keine unvermeidbare Konsequenz unseres Daseins oder Lebensstils, sondern eine Entscheidung, Gewalt anzuwenden, obwohl es Alternativen gibt.

Perfektion als sinnvoller Ansatz?

Wenn Menschen sagen: „Aber du kannst nicht völlig vermeiden, dass Tiere für dich sterben!“, dann ist die Frage: Und? Niemand fordert eine Welt, in der niemals ein Tier stirbt. Tiere sterben auch in der Natur – das ist Realität. Aber das rechtfertigt nicht, sie bewusst und systematisch zu züchten, zu jagen, einzufangen und auszubeuten.

Wenn Perfektion die Voraussetzung für Ethik wäre, dann könnte man auch argumentieren: „Weil es immer irgendwo Armut geben wird, sollten wir gar nicht erst versuchen, Menschen in Not zu helfen.“ Oder: „Da wir niemals alle Formen von Diskriminierung abschaffen können, sollten wir Rassismus und Sexismus nicht mehr bekämpfen.“ Das wäre offensichtlich absurd – und nennt sich Nirwana-Fehlschluss. Sinnvollerweise lässt sich zwischen Primärprinzipien, die als ideale Leitsterne die Richtung vorgeben, und Sekundärprinzipien unterscheiden. Letztere berücksichtigen die Komplexität der Welt und formulieren praxisnahe Handlungsregeln. Zu den relevanten Faktoren für die Festlegung der Sekundärprinzipien gehören etwa Einsichtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit und Kontextabhängigkeit.

Veganismus ist ein ethischer Minimalrahmen und dreht sich weder um die eigene Reinheit noch um die perfekte Umsetzung, sondern um das Bestreben, Tiere gerecht zu behandeln und Tierausbeutung zu unterlassen bzw. zu beenden

Aber nur weil Veganer nicht jede Form von Tierleid vermeiden, heißt das nicht, dass wir nicht auch darüber diskutieren sollten, inwiefern man über diesen Minimalrahmen hinaus gehen kann, und die (gezielten) Interessenverletzungen vielleicht auch dort unterlassen sollte, wo es eindeutig und mit zumutbarem Aufwand möglich ist – auch wenn der Anspruch, Tierleid oder Tiertötungen gänzlich zu vermeiden, wahrscheinlich nie ganz erfüllt werden kann. Eine Welt und vor allem eine Lebensweise ohne Tierausbeutung hingegen sind (theoretisch) möglich.

Autoren
Alexandra S. Aderhold, Green Quantum, Linus Leuft

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HoloWAS?! Permazid!